BAG Infobrief 24/1

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Liebe Freund*innen der Kirchenasyl-Bewegung,

2023 lagen ermutigende und kritische Ereignisse in der Kirchenasylbewegung dicht beieinander: Die Tagung anlässlich des 40. Jahrestagung der Bewegung Ende August in Berlin war mit über 150 Teilnehmenden ein stärkendes und Mut machendes Ereignis. Mehrere Räumungen und versuchte Abschiebungen aus Kirchenasylen zeugen auf der anderen Seite von der Gefahr, dass der Diskurs über mehr Abschiebungen auch bisher respektierte Schutzräume zunehmend gefährdet.

Auf Länderebene, in manchen Ausländerbehörden, öffnen sich falsche und verstörende Interpretationen der Legitimität von Kirchenasylen, die sich orientieren an einer Beschränkung der Akzeptanz auf die Zeit der Dossierprüfung. Hier werden viele Gespräche nötig sein, um unser Verständnis des menschenrechtlichen Instruments Kirchenasyl neu zu vermitteln.

Umso wichtiger waren 2023 die vielen Gespräche innerhalb der Kirchenasylbewegung: Auf der Jahrestagung, bei Netzwerktreffen und Treffen zur Gründung neuer Netzwerke (in Niedersachsen, Sachsen und Rheinland-Pfalz/ Saarland) sowie die monatlichen Austauschtreffen für Gäste und Ehemalige im Kirchenasyl.

Wenn der Gegenwind stärker wird, müssen wir umso deutlicher Haltung zeigen. Das werden wir auch 2024 tun und uns dabei hoffentlich gut gegenseitig stärken und ermutigen.

Viele Grüße,
Dietlind Jochims, Vorstandsvorsitzende der Ökum. BAG Asyl in der Kirche e.V.

WirSindDieBrandmauer

Gemeinsam mit vielen Organisationen der Zivilgesellschaft rufen wir dazu auf, die aktuellen Proteste gegen die AfD zu verstetigen. Für uns ist klar: Die AfD bekämpft man nicht, indem man ihre Politik umsetzt. Der massiv gestiegene Abschiebedruck und die weitere Abschottung Europas haben direkte Konsequenzen auch für das Kirchenasyl. Was heißt es, Teil der „Brandmauer gegen rechts“ zu sein? Für uns bedeutet es, unsere Kirchen zu öffnen und Orte zu schaffen, an denen Menschen vor Abschiebung sicher sind.

Erneuter Versuch der Abschiebung aus dem Kirchenasyl

In der Woche vor Weihnachten, am Morgen des 20.12.2023 kam es erneut zu einer versuchten Abschiebung aus dem Kirchenasyl. Bei der betroffenen Familie handelt es sich um eine sechsköpfige Familie aus Afghanistan, die sich in Schwerin im Kirchenasyl befindet. Die Mutter ist eine bekannte Frauenrechtlerin und Journalistin, die in ihrer Heimat massiv bedroht wurde. Über das Aufnahmeprogramm für Afghanistan des Bundesinnenministeriums und des Auswärtigen Amtes war der Familie eine Aufnahme in Deutschland zugesichert worden. Die Visumserteilung verzögerte sich allerdings massiv. Da das Leben der Familie in Afghanistan zusehends gefährdet war und sie dringend medizinische Behandlung benötigten, flohen sie in den Iran. Von dort aus gelangten sie mit einem spanischen Visum nach Europa. Der Familie war eine Aufnahme in Deutschland zugesagt worden. Es ist ein Armutszeugnis für die Behörden, dass die Visa-Formalitäten viel zu schleppend angesichts der Lebensgefahr für die Familie bearbeitet worden sind. Abgeschoben werden sollten die beiden volljährigen Söhne der Familie, so dass es zudem noch zu einer Familientrennung gekommen wäre.

Vermehrt Angriffe auf das Kirchenasyl

In den letzten Monaten haben wir bundesweit einen Bruch von Kirchenasyl und mehrere Androhungen der Räumung erlebt. Die meiste öffentliche Aufmerksamkeit erregte der Versuch der Ausländerbehörde Viersen in NRW, ein kurdisch-irakisches Ehepaar nach Polen abzuschieben. Die Abschiebung konnte durch breiten zivilgesellschaftlichen Protest jedoch abgewendet, inzwischen hat die Familie einen Aufenthalt. Auch im Schweriner Fall ist das Verhalten der Behörden paradox: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat selber festgehalten, dass eine Familientrennung hier vermieden werden soll.

Familien gehören zusammen

Die beiden Söhne von Frau Y., die heute aus dem Kirchenasyl abgeschoben werden sollten, sind volljährig. Der gerade 18jährige Sohn übernimmt Verantwortung für das alltägliche Leben der fünf weiteren Familienmitglieder, wo die stark traumatisierten und kranken Eltern dies nicht können. Der 22jährige Sohn ist kognitiv eingeschränkt.  In der sog. Dublin-III Vereinbarung gelten volljährige Kinder nicht als Kernfamilie. Wenn aber Familien gemeinsam migrieren, muss alles getan werden, damit sie zusammenbleiben können. Wir glauben, dass Menschen das Recht haben, zu migrieren, um ihr Leben und das ihrer Familien zu schützen und dass sie nicht gezwungen sein sollten, sich zwischen der Unterstützung und dem Zusammenleben mit ihren Familien zu entscheiden.

Kirchenasyl ist ein Schutzraum

Schutz bedeutet für uns nicht nur, vor eine Abschiebung zu bewahren, deren Konsequenz unzumutbare Härten wäre. Schutz bedeutet für uns auch, einen Ort zu schaffen, an dem die geflüchteten Kirchenasyl-Gäste endlich einen Ort zum Durchatmen finden. Meist liegen Jahre der Verfolgung, Flucht und Unsicherheit hinter den Menschen, die im Kirchenasyl aufgenommen werden. Die aktuellen Räumungsandrohungen und –versuche führen zu großer Verunsicherung unter Kirchenasyl-Gästen und Gemeinden. In einem Merkblatt für die Kirchenasylbewegung haben wir dazu vor einem Monat festgehalten: „Es trifft einzelne, aber gemeint sind wir alle.“

Einspringen, wenn der Staat ausfällt

Im Fall von Frau Y. ist augenscheinlich, dass es das Kirchenasyl nicht gebraucht hätte, wenn die deutschen Behörden ihre Arbeit gemacht hätten. Die GiZ hatte Frau Y. eine legale Einreise nach Deutschland zugesagt. Wie in so vielen weiteren Fällen hielt auch hier das Auswärtige Amt sein Versprechen nicht, besonders bedrohte Menschen aus Afghanistan zu evakuieren. Mit dem Kirchenasyl für Frau Y. und ihre Familie sprang die Kirchengemeinde dort ein, wo das Auswärtige Amt versagte. Anstatt mit einem Großaufgebot von Polizei und Feuerwehr in bundeslandübergreifender Kooperation anzurücken hätten sich die deutschen Behörden einfach bei Familie Y. entschuldigen können und Selbsteintritt im Dublin-Verfahren ausüben können.

Interview zum Kanadischen Sanctuary Movement

Kathryn Dennler ist an der Grenze zwischen den USA und Kanada aktiv. Sie forscht zu Abschiebungen und Zugang zum Flüchtlingsschutz in Kanada.

Foto: Roxam Road, einer der Grenzübergänge zwischen den USA und Kanada

Wie sieht das Grenzregime in eurem Kontext aus?

Kanada ist geografisch weit von Konfliktherden entfernt. Daher ist es für Menschen, die auf der Flucht sind, äußerst schwierig, Kanada zu erreichen. Die Regierung ist stolz auf ihre Tradition der Aufnahme von Flüchtlingen im Rahmen von Resettlement-Programmen und ist gleichzeitig aktiv daran beteiligt, es Menschen auf der Flucht zu erschweren, Kanada zu erreichen und dort Asyl zu beantragen. Kanada hat eine mehr als 4000 km lange gemeinsame Landgrenze mit den USA. Außerhalb der offiziellen Grenzübergänge ist die Grenze physisch unsichtbar, aber es wird verstärkt Überwachungstechnologie einge-setzt. Um zu verhindern, dass Flüchtlinge über die USA nach Kanada kommen, wurde das so genannte „Abkommen über sichere Drittstaaten“ in Kraft gesetzt.

Nach diesen neuen Regeln ist es einfacher, Menschen in die USA zurückzuschieben, wenn sie versuchen, nach Kanada zu gelangen. Je nach Einwanderungsgeschichte besteht für Personen, die in die USA abgeschoben werden, die Gefahr einer weiteren Abschiebung an Orte, an denen sie Verfolgung befürchten. Die aktuellen Verschärfungen der Vorschriften werden wohl dazu führen, dass noch mehr Geld für Grenzkontrollen und Überwachung ausgegeben wird.

Wann begann eure Bewegung in Kanada?

In Kanada begann das „Sanctuary-Movement“ auch in den 1980er Jahren mit dem Kampf gegen die Abschiebung von Flüchtlingen, die Angst vor Abschiebung hatten. Dies geschah durch die Aufnahme von Menschen im Kirchenasyl und die Nutzung der moralischen Autorität der Kirchen, um Druck auf die Regierung auszuüben, bestimmte Personen als Flüchtlinge anzuerkennen und Änderungen am Asylverfahren vorzunehmen. Heute arbeiten wir immer noch an der Verhinderung von Abschiebungen aus Kanada, aber es ist genauso wichtig geworden, dass wir Maßnahmen bekämpfen, die den Zugang zum Asylsystem erschweren.

Was bringt euch das Internationale Netzwerk, indem wir mineinander verbunden sind? Wie hilfreich ist es für eure Arbeit vor Ort?

Die Vernetzung mit euch allen ist sehr inspirieren und bereichernd. Es ist sehr wichtig, Ermutigung und Solidarität von anderen zu erfahren, die sich in denselben Kämpfen engagieren. Während unserer letzten Internationalen Delegationsreise 2019 an die US-Mex-Grenze konnten wir tiefere Verbindungen zu Menschen vor Ort aufbauen. In diesen Gesprächen stellten wir fest, dass die Menschen auf der Flucht schon früh die Notwendigkeit erkannten, in Kanada Schutz zu suchen. Organisationen und Netzwerke in Mexiko und den USA haben aber nur wenige Informationen über die Grenze zwischen den USA und Kanada und den rechtlichen Rahmen, der den Zugang zum Flüchtlingsschutz bestimmt. Nach unserer Reise 2019 haben wir deshalb ein US-Kanada-Grenznetzwerk gegründet. In diesem Netzwerk sprechen wir über die Bedingungen an der Grenze, ermitteln den Informationsbedarf und erstellen einfach verständliche Dokumente, die wir an Organisationen weitergeben können, die mit Menschen auf der Flucht arbeiten. Durch dieses Netzwerk konnten wir auch Praktiken an der Grenze dokumentieren, die die Rechte von Flüchtlingen untergraben. Unser Ziel ist es, für Flüchtende das Grenzregime an der Grenze zwischen den USA und Kanada verständlich zu machen.

Das Interview führte Ulrike La Gro während der Delegationsreise an die Polnisch-belarussische Grenze im September 2023.

SAVE THE DATE

Unsere Jahrestagung findet dieses Jahr vom 22.-23. November in Hannover statt. Weitere Termine finden Sie auf unserer Website.

Wir brauchen Ihre Unterstützung

Die Ökumenische BAG Asyl in der Kirche ist der organisatorische Zusammenschluss der Kirchenasylbewegung in Deutschland. Sie besteht Kirchengemeinden und Regionalnetzwerken aller Konfessionen, die bereit sind, Flüchtlinge im vor Abschiebung zu schützen, wenn begründete Zweifel an einer gefahrlosen Rückkehr bestehen. Als BAG treten wir für die Flüchtlinge und deren Unterstützer*innen ein, durch Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit, Dokumentation von Kirchenasyl, Publikationen, Tagungen und Beratung von Gemeinden. Für den Fortbestand unserer kontinuierlichen Arbeit sind wir auf Ihre Spende angewiesen.

BAG Asyl in der Kirche | IBAN: DE68350601901013169019 |BIC: GENODED1DKD

Impressum:

Herausgeberin: Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche e.V.
Kirche Zum Heiligen Kreuz, Zossener Str. 65, 10961 Berlin
V.i.S.d.P.: Dietlind Jochims

Redaktion und Gestaltung: Ulrike La Gro
Bilder: HandinHand/BAG, US-Canada Border Network
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