Sehr geehrter Herr Innenminister Stahlknecht, sehr geehrte Innenminister der Bundesländer,
vom 6.-8. Juni beraten sich die Innenminister der Länder in Quedlinburg. Erneut wird das Thema Kirchenasyl erörtert werden.
Für die Beratungen und Gespräche möchten wir Ihnen wie im letzten Jahr einige Beobachtungen aus unserem Erleben mitgeben und bitten um Berücksichtigung.
Die Schutzgewährung durch Kirchenasyl bezieht sich immer auf die konkrete Situation einzelner Menschen. Die Kirchengemeinden lassen sich gut beraten und prüfen den Einzelfall gründlich. Dabei übersteigt die Zahl der Anfragen die Zahl der gewährten Kirchenasyle nach wie vor um ein Vielfaches. Auch wenn nicht alle Anfragen zu einem Kirchenasyl führen, sehen wir an diesen Bitten doch, dass die strukturellen Schwachstellen der europäischen Asylpolitik weiterhin massiv zu Lasten der Schutzsuchenden gehen.
Drei Beispiele möchten wir Ihnen in Zusammenfassung schildern. Alle drei wurden dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als Härtefälle geschildert: In einem der Fälle wurde positiv beschieden, einer wurde abgelehnt, einer ist noch offen. Wie würden Sie diese Situationen beurteilen?
1) Der junge Mann kommt aus Afghanistan, ist von dort 2008 als 15jähriger erstmals vor Verfolgung durch die Taliban geflohen. Mit Erreichen der Volljährigkeit wurde er drei Jahre später aus Norwegen nach Afghanistan abgeschoben, machte sich aufgrund der weiter bestehenden Gefahr wieder auf den Weg. Seit 2011 versucht er in Europa Schutz zu finden, wurde sechsmal von einem Dublin-Vertragsstaat in einen anderen rücküberstellt. Lediglich in Schweden verbrachte er ein ganzes Jahr – weil er dort zwölf Monate in einer psychiatrischen Klinik in Behandlung war. Nach der Entlassung wurde er weiter“geschoben“. Deutschland ist jetzt seine 15. Station in den letzten sechs Jahren. Sein psychischer Gesundheitszustand und die lange Flucht lassen nach Auffassung der Kirchengemeinde nur eines zu: Der junge Mann muss nach einem Jahrzehnt irgendwo ankommen und gesunden dürfen.
2) Ein älteres Ehepaar verlässt aufgrund der Hinwendung zum christlichen Glauben den Iran. Über Frankreich reisen sie in Deutschland ein, wo ihre beiden erwachsenen Kinder seit vielen Jahren Aufenthaltsrecht haben. Sie sind beide nicht gesund und werden aufgrund ihres Alters Schwierigkeiten haben, sich in einem neuen Land allein – ohne ihre Kinder – gut zurecht zu finden. Die Kirchengemeinde, in der der Sohn Mitglied des Kirchengemeinderates ist, nimmt das Paar ins Kirchenasyl.
3) Eine 19jährige Frau aus Eritrea erreicht nach monatelanger Gefangenschaft in libyschen Lagern Italien. Sie ist mit ihrer Schwester und deren zwei kleinen Kindern auf der Flucht. In Italien leben sie mehrere Wochen auf der Straße. Die Frauen werden erneut Opfer sexueller Übergriffe. Sie fliehen weiter nach Deutschland. Die junge Frau ist traumatisiert und spricht nur noch mit ihrer Schwester und den Nichten, ansonsten ist sie stumm. Schwester und Nichten werden aufgrund des Alters der Kinder (unter drei Jahren) nicht nach Italien rücküberstellt. Die junge Frau aber soll von ihren einzigen Bezugspersonen getrennt werden und dorthin zurück. Ab dem Zeitpunkt des Dublinbescheides verweigert sie die Nahrungsaufnahme. Als eine Kirchengemeinde ihr Schutz gewährt, hat sie mit einem Body Mass Index von 16 lebensbedrohliches Untergewicht.
Wir sehen die Menschen und hören ihre Geschichten. Wir sehen Behördenfehler, Ermessensspiel-räume, vermeintlich „nicht-außergewöhnliches“ Elend, menschliche Tragödien.
Mit großer Sorge nehmen wir wahr, dass nun in bestimmten Konstellationen erwogen wird, die Überstellungsfrist für Menschen im Kirchenasyl zu verlängern. Auch hier wird unseres Erachtens Politik auf dem Rücken der Geflüchteten ausgetragen, ohne dass dadurch Probleme gelöst werden.
Inhaltlich treten wir sehr dafür ein, dass Kirchengemeinden die Härtefallgründe für die Gewährung von Kirchenasyl transparent und deutlich machen. Über verbesserungswürdige Kommunikation und Klarheit der Kriterien, über die Entwicklungen in der Handhabung der Vereinbarung seit 2015 und über zum Teil einseitig gesetzte Veränderungen in der Entscheidungspraxis sind die Kirchen mit dem Bundesamt in kontinuierlichem Austausch. Bisher bestand Einigkeit darüber, dass Menschen im Kirchenasyl nicht als „untergetaucht“ oder „flüchtig“ gelten und daher die Voraussetzungen zur Verlängerung einer Frist nicht vorliegen. Für eine andere Bewertung sehen wir keine Grundlage.
Der Kern der Debatte sollte jedoch aus unserer Sicht eher sein: Wie können die Gründe, die zu Kirchenasyl führen, beseitigt werden? Wie können wir im Umgang mit Geflüchteten Menschenrechte besser wahren und unserer Idee von einem einigen Europa gerecht(er) werden?
Wir bitten Sie, Kirchenasyl auch aus diesem Blickwinkel heraus zu bedenken und sind weiter gerne zu Gesprächen bereit.
Mit freundlichen Grüßen,
Pastorin Dietlind Jochims
für den Vorstand der Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche
Berlin/ Hamburg, 1. Juni 2018