Vorwort
Mut! Es braucht manchmal nicht viel, um etwas zu bewegen. Es braucht den Mut zum ersten Schritt.
„Nach vielen Bauvorhaben endlich wieder eine Aufgabe der Gemeinde, die biblisch begründet ist,“ freut sich eine Pastorin. „Wir sollten doch Willkommenskultur praktizieren“, meint ein Kirchengemeinderatsmitglied, „und dann sagen die nach mehreren Monaten, der soll wieder zurück nach Italien. Das passt doch nicht!“
Menschliches Handeln kann und darf fehlerhaft sein, aber es darf sich auch darauf besinnen, dass es darauf ankommt, etwas so gut wie möglich zu machen.
Die Entscheidung wird meist auf biblischer Basis und aufgrund von menschenrechtlichen Begründungen getroffen. Durch vorherige mangelnde Beratung oder keinerlei anwaltliche Begleitung haben viele Asylsuchende sich in Widersprüchen und Fehlern verstrickt. Kirchenasyl soll dazu dienen, manches aufklären zu helfen und Menschen ihre Glaubwürdigkeit, ja ihre Würde zurückzugeben. Das braucht Zeit.
Kirchenasyl beansprucht nie, etwas „besser“ zu wissen als der Staat oder gar staatliches Handeln außer Kraft zu setzen, sondern fordert Zeit ein, damit Menschen zu ihrem Recht verholfen werden kann.
Bemerkenswert ist in diesem Kontext aber auch, dass keine juristische Fakultät zurzeit im offiziellen Programm Ausländer- oder Asylrecht lehrt. Wie sollen dann Kirchengemeinden oder Pastor_innen etwas besser wissen wollen? Vielmehr bedeutet es, dass sie sich auf die Angaben versierter Leute verlassen müssen. Irrt man sich dennoch, kann man auch Kirchenasyle wieder beenden, weil nicht alle Informationen zur rechten Zeit da waren. Fehler sind keine Katastrophe.
Und doch bleibt festzuhalten: Bisher führte so genanntes „Kirchenasyl“ in 70-85 % der Fälle dazu, dass die betroffenen Flüchtlinge bleiben durften.
Viele haben Sorge, weil die „Unterstützung im illegalen Aufenthalt“ eine Straftat sein kann. Meistens aber wird in der Hauptsache, nämlich in der Aufenthaltsfrage, ein Erfolg erzielt. Wie kann dann diese humanitäre Hilfe strafbar sein?
Diese Checkliste soll Anregungen geben, Entscheidungen vorab zu klären (Grundsatzbeschluss) oder schnell in Entscheidungen zu kommen, denn gerade bei sogenannten „Dublin“-Fällen ist der Zeitfaktor entscheidend. Langatmige bürokratische kirchliche Hürden helfen da nicht weiter.
Achtung!
Bei Verhandlungen im Kirchengemeinderat, aber auch in der Öffentlichkeitsarbeit gibt es immer wiederkehrende Vorwürfe gegenüber Flüchtlingen, z.B. folgende:
a) Sie seien in das Land „illegal eingereist“.
Da es kaum legale Möglichkeiten gibt, ist dies ein Vorwurf, der nicht greift. Es gibt Familien, die 3-10 Jahre auf die Wiedervereinigung warten, nur weil sie sich auf die Botschaften verlassen haben. „Der wichtigste Teil eines Menschen – ist sein Pass“, wusste zwar schon Bertold Brecht, aber auf der Flucht ist dies eher hinderlich, gefährlich und kaum zu bewerkstelligen.
b) Flüchtlinge hätten über ihre „Identität“ getäuscht.
Viele „Schlepper“ empfehlen das und es ist ein Mangel unseres Asylsystems, dass es nicht um Vertrauen wirbt, sondern oft das eingefleischte Misstrauen zu den eigenen Heimatbehörden auf deutsche Behörden übertragen wird. Eine unabhängige Verfahrensberatung, die da Abhilfe schaffen würde, ist in vielen Bundesländern nicht vorgesehen.
c) Flüchtlinge hätten schon früher über Erkrankungen, Behinderungen, Traumatisierungen etwas vorbringen können.
Da sogenannte „vulnerable“ Gruppen in Deutschland weder identifiziert noch besonders geschützt werden, ist dies immer erst im mühsameren Rechtsprozess der Fall.
1. Grundsätzlich: Wie kommt es überhaupt zu einem „Kirchenasyl“?
Eine Einzelperson oder eine Familie wendet sich an eine Pastorin oder einen Pastor und fragt, ob ihr Kirchenasyl gewährt werden könnte. Manchmal ist es auch ein Rechtsanwalt, eine Rechtsanwältin oder eine Migrations-oder Flüchtlingsberatungsstelle. Es eilt: ein Kirchenasyl wird benötigt.
Was gilt es dann zu tun?
a) Deutlich machen, dass beide Seiten nach Beratung entscheiden, ob überhaupt ein Kirchenasyl in Frage kommt:
- die Flüchtlinge nach Aufklärung und
- der Kirchengemeinderat, Presbyterium etc.
b) Aufklärung:
Die Personen im Kirchenasyl sind faktisch „Menschen ohne Papiere“, sie haben keinen Aufenthaltsstatus mehr, das heißt:
- Es gibt keine öffentlichen Zuwendungen.
- Die Menschen sind nicht versichert oder gar krankenversichert.
- Sie sind angewiesen auf die Versorgung durch Andere.
- In vielen Fällen können sie das Kirchengelände nicht verlassen und brauchen Möglichkeiten, die Zeit kreativ zu verbringen (Teilnahme an Gemeindeaktivitäten, Besuche, Basteleien, Computerkurse, Unterricht, etc.).
- Die Kinder sind in Kindertagesstätten und Schulen zu integrieren, damit sie nicht zu sehr unter dem Zustand leiden (siehe auch: UN-Kinderrechtskonvention). Darüber hinaus können von der Kirchengemeinde Spieleangebote gemacht werden.
2. Erste Möglichkeiten:
a) Um die Sachlage zu klären und weil die Personen Angst haben, dürfen sie „gastweise“ im kirchlichen Gebäude schlafen. Die Zeit wird genutzt, um die Situation zu klären (dies ist nicht zuletzt faktische Suizidprophylaxe).
b) Einige Kirchenkreise unterhalten dafür so genannte „Gästewohnungen“, wo Menschen ohne Papiere auch zur Ruhe kommen können.
c) Die Sachlage wird sofort über Anwalt oder Anwältin, Beratungsstelle oder andere fachkompetente Menschen geprüft.
3. Fallkonstellationen:
a) Es handelt sich um faktisch abgelehnte Asylsuchende, deren Verfahren beendet sind, die aber glaubhaft machen können, dass sie Gründe haben, nicht abgeschoben werden zu können.
- Bei langjährigem Aufenthalt und guter Integration oder schwerwiegenden Gesundheitsrisiken wird die Anrufung bei der Härtefallkommission des jeweiligen Bundeslandes geprüft.
- Es wird ein Asylfolgeantrag geprüft, wenn neue Gründe vorliegen.
- Es werden weitere Klagemöglichkeiten geprüft.
All das braucht vor allem Zeit, da alles belegt werden muss:
- Neue Geschichten – warum erst jetzt, was veranlasste, die Identität oder die wahren Fluchtgründe nicht bekannt zu geben?
- Neue Gründe (Nachfluchtgründe), warum und welche?
- Gesundheitsgutachten
- Integrationsstellungnahmen (Vereine, Einzelpersonen, Schulzeugnisse etc.)
Bereits von Anfang an: Offiziellen Beschluss fassen, sich auf diesen Weg einzulassen, z.B.:
„Der KGR beschließt am _______ (Datum), _____________________ (Person/Name), geb.
am ___________, ggf. Aktenzeichen ___________________ ins sogenannte
„Kirchenasyl“aufzunehmen.
(oder: […] in den kirchlichen Schutz zu nehmen und „Kirchenasyl“ zu gewähren.)
Ladungsfähige Adresse ist:
________________________ (Kirchengemeinde)
________________________ (Straße, Hausnummer)
________________________ (PLZ, Ort)
Bei Rückfragen wenden Sie sich jederzeit gerne an _____________________ (Name des Pastors/der Pastorin oder der zuständigen Person im Kirchengemeinderat o.ä.)
________________________ (Unterschrift, Datum)“
Einige begründen den Beschluss ausführlicher. Das braucht es i.d.R. aber eher erst, wenn es zu Gesprächen und Nachfragen durch Behörden kommt oder eventuell Öffentlichkeitsarbeit vonnöten ist.
Darum ist es wichtig, immer alles gut zu dokumentieren und Akten über Anwält_innen anzufordern.
Bei Unsicherheiten können zuständige kirchliche Beratungsstellen oder die Ökumenische BAG Asyl in der Kirche (www.kirchenasyl.de) kontaktiert werden.
Der Beschluss über die Gewährung von Kirchenasyl muss immer an die zuständige Ausländerbehörde, die Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (www.bamf.de), die kirchlichen zuständigen Behörden und an weitergeleitet werden.
b) Andere Fallkonstellation: Sogenannter „Dublin“-Fall
Die Menschen sind nach Aufgriff in einem anderen europäischen Land weitergeflüchtet, die Fristen laufen, die Rücküberstellung steht unmittelbar bevor:
- bis Fristende: Kirchenasyl, danach Asylantrag in Deutschland möglich;
- sofortiger Beschluss an die BAMF-Außenstelle (Zuständigkeit) faxen und an die Ausländerbehörde sowie Innenministerium und ggf. zuständige kirchliche Stellen. Ebenfalls zu Dokumentation und Vernetzungszwecken an . Es eilt, da es sonst als „Untertauchen“ gewertet wird und längere Fristen laufen. Wird Kirchenasyl den Behörden jedoch rechtzeitig mitgeteilt, gilt es nicht als „Untertauchen“;
- Gründe nennen, warum Deutschland eher zuständig sein sollte als ein anderes EU-Land (siehe www.proasyl.de – Berichte zu Italien, Ungarn oder Polen);
- oder Gründe wie Familienzusammenhalt etc. nennen.
c) Die Menschen sind aufgefordert worden sich zu melden, sind abgetaucht und erst dann zur Kirchengemeinde/Pfarrei gekommen, d.h. sie sind bereits „untergetaucht“:
- Beschluss und Mitteilung wie oben,
- Gründe fürs „Abtauchen“ nennen.
Es ist damit zu rechnen, dass es länger dauert, bis die Frist endet und das Asylverfahren in Deutschland durchgeführt werden kann.
Stellt sich während des Kirchenasyls heraus, dass es sich nicht um ein „Dublin-Verfahren“ handelt, sondern die Person bereits einen Status in einem europäischen Land erhalten hat (Flüchtlingsstatus oder subsidiärer Schutz), sollte unbedingt erneut Kontakt mit einer rechtlichen Beratungsstelle aufgenommen werden.
Dann sind die Ausgangsbedingungen grundsätzlich anders als bei „Dublin“-Fällen und es muss genau geschaut werden, welche rechtlichen Möglichkeiten es dann gibt.
4. Beenden des Kirchenasyls
Die Länge des Kirchenasyls – oder auch: wann und wie wird es beendet?
a) Eigene Entscheidung: Die geschützten Personen verlassen das Kirchenasyl, weil sie „nicht mehr können“.
b) Der Kirchengemeinderat entscheidet, das Kirchenasyl bis zu einer bestimmten Frist durchzuführen und sucht für den Anschluss eine weitere Unterbringungsmöglichkeit (z.B. Kirchenasyl durch eine andere Gemeinde). Es gibt beispielsweise Beschlüsse für 3-6 Monate, wonach gesehen wird, wieweit man gekommen ist.
c) Die Fristen im „Dublin“-Verfahren laufen ab und der Asylantrag kann gestellt werden (Zuweisung der Betroffenen an ein anderes Bundesland möglich; hier ist es wichtig, bestehende Netzwerke zu nutzen und ggf. Kontakt zu anderen NGOs, die Flüchtlinge unterstützen, herzustellen).
d) Das Gerichtsverfahren wird gewonnen. Dann muss das Verwaltungsgerichts- oder Oberverwaltungsgerichtsurteil abgewartet werden. Aufenthaltstitel nach Härtefallkommissions-Entscheidung wird gewährt.
Wichtig: Sollte sich nach einer gewissen Zeit herausstellen, dass sich wirklich kein Anhaltspunkt für einen Aufenthalt finden lässt, sind ggf. Kolleg_innen für die freiwillige Rückkehr zu Rate zu ziehen und Beratungsangebote entsprechend zu unterbreiten (finanzielle Hilfe, Begleitung bei Rückkehr durch Ehrenamtliche, weiterhin in Kontakt durch E-Mail oder Skype o.ä.)
5. Öffentlichkeitsarbeit
- Ein Kirchenasyl ist öffentlich, denn die Behörden werden immer benachrichtigt. (Bitte nie von „geheim“ reden, denn das weckt falsche Assoziationen.)
- Dennoch handelt es sich zumeist um „stille“ Kirchenasyle, in denen nicht von Anfang an die Presse eingeschaltet wird.
- Presse kann dann nötig werden, wenn Fronten sich verhärten und klar ist, dass etwas dadurch eher gewonnen werden kann.
- Anschließend – sollte ein Kirchenasyl positiv beendet werden – ist oft noch ein Fest für alle Beteiligten und manchmal auch Berichterstattung erwünscht.
- Sollte ein Kirchenasyl durch Indiskretion veröffentlicht werden, sollte versucht werden auf die Presse Einfluss zu nehmen, um eine Berichterstattung gezielt mit Informationen zu unterfüttern oder auf einen bestimmten Termin zu verlegen, um Verhandlungen nicht zu gefährden.
6. Ergebnisse festhalten
Sowohl aus Aspekten des „Gemeindeaufbaus“ wie auch in menschenrechtlicher und biblischer Hinsicht sollte das Kirchenasyl dokumentiert und ausgewertet werden. Ein Abschlussfest, ein weiteres Treffen, um festzuhalten, was gut und schlecht lief, sind wichtig, denn sonst verpuffen die Effekte.
In manchen Gemeinden entsteht dadurch langfristige Flüchtlingsunterstützungsarbeit, wie ein internationales Café oder Treffpunkte für Migrant_innen und Einheimische. Aber auch ständige ehrenamtliche Begleitung in Ausländerbehörden und sozialrechtliche Beratungsangebote sind hier und da nach Kirchenasylen entstanden.
Checkliste Kirchenasyl als PDF Download