Die Entscheidung, die Verantwortung für die Kontrolle von Migrationsbewegungen entlang der Mittelmeerroute auf Libyen zu übertragen, wird weder Menschenrechtsverletzungen reduzieren, noch Schleusern ein Ende setzen. Stattdessen wird es zu einer deutlichen Steigerung von Leid und Elend führen.
Die Pläne der EU werden Festnahmen und Abschiebehaft von Migrant*innen in Libyen verschlimmern und Menschen verstärkt schweren Menschenrechtsverletzungen aussetzen.
Die politische Einflussnahme der, von den vereinten Nationen gestützten, Regierung in Tripolis ist begrenzt, instabil und stet in Konkurrenz mit der Einflussnahme anderer Akteure. Die EU selbst schätzt die Lage in Libyen als `unsicher` ein und systematische Gewalt gegen Migrant*innen und Flüchtlinge wurde vielfach dokumentiert. Eine Vielzahl von Berichten von Menschenrechtsorganisationen haben die schweren, grausamen Zustände in Libyen beschrieben: Vergewaltigung, Folter, Hinrichtung und weiteres Leid. Unsere Organisationen haben verlängerte, willkürliche Haft, Folter und andere Misshandlungen genau in den Zentren dokumentiert, wo Flüchtlinge und Migrant*innen, die von der libyschen Küstenwache an der Überfahrt nach Europa gehindert wurden, festgehalten werden.
Die Erklärung von Malta gibt an, dass die EU sich bemüht, „gemeinsam mit dem UNHCR und der IOM angemessene Aufnahmekapazitäten und -bedingungen für Migranten in Libyen zu gewährleisten“. Jedoch haben IOM sowohl als UNHCR in einer gemeinsamen Stellungnahme erklärt, dass Sicherheitseinschränkungen sie weiterhin an ihrer Fähigkeit hindern, lebensrettende Hilfe und grundsätzliche Hilfsleistungen für die am meisten gefährdeten Personen zu erbringen und Lösungen durch Umsiedlung, unterstützter freiwilliger Rückkehr und Selbstversorgung zu finden. Dies macht jegliche Versicherungen bezüglich der Kontrolle der Einhaltung der Menschenrechte und der Verbesserung von Abschiebehaftbedingungen unbedetutend.
Wie können die EU Mitgliedsstaaten unter diesen Umständen die Festsetzung von Menschen in Libyen verantworten? Europäische Regierungen können nicht selber Menschen nach Libyen zurückführen ohne den Grundsatz der Nichtzurückweisung zu brechen, da Menschen, die abgeschoben werden dem Risiko schwerer Menschenrechtsverletzungen ausegsetzt wären.
Vor diesem Hintergrund verstehen wir die aktuellen EU Maßnahmen, die zum Ziel haben, libyschen Behörden zu ermöglichen, Migrant*innen von der Überfahrt nach Europa abzuhalten und sie nach Libyen zurückzuführen, als eindeutigen Versuch, internationale Verpflichtungen zu umgehen. Diese Praxis ignoriert, welch gravierende Folgen dies für tausende Männer, Frauen und Kinder hätte.
Die Finanzierung von Behörden, die mit Grenzschutz und Küstenschutz in Libyen betreut sind, wird lediglich die systematischen Verhaftungen und Festnahmen von Flüchtlingen und Migrant*innen fördern und sie Misshandlungen und Mißbrauch in libyschen Gefängnissen aussetzen. Weiterhin, wird es diejenigen, die in der Tat vor Verfolgung fliehen, daran hindern, in Sicherheit zu gelangen. Dieser Ansatz verdammt Menschen zu weiterem, völlig unnötigem Leid und nimmt Menschenrechtsverletzungen in Kauf.
Wir würden gerne nachvollziehen können, mit wem die EU zusammenarbeiten will? Wie soll der libysche Küstenschutz überprüft werden? Wie werden diese Akitvitäten überprüft, wo viele Einheiten der Küstenwache selbständig arbeiten mit begrenzter Kontrolle seitens der Regierung und ohne jeglicher gerichtlicher Aufsicht? Mechanismen, um diese Akteure zu Rechenschaft zu ziehen, wurden nicht vorgesehen.
Der Schwerpunkt auf die Bekämpfung von Schleusern wird weder Migration verhindern, noch menschliches Leiden lindern.
Der effizienteste Weg, Menschenschmuggel zu unterbinden, sind nachhaltige Investitionen in den Herkunftsländern, sowie die Öffnung und Stärkung sicherer und regulärer Einreisemöglichkeiten nach Europa. Entwicklungshilfe mit dem Ziel der Unterstützung gefährdeter Bevölkerungsgruppen sollte nicht mit Zielsetzungen der Migrationssteuerung verknüpft werden.
Die Entscheidung der EU Staats- und Regierungschefs den Schwerpunkt nahezu ausschließlich auf die Bekämpfung der Schleuser zu legen, wird dem Migrationsbedarf nicht entgegenwirken. Menschen, die vor Krieg, Verfolgung oder mangelnder Existenzgrundlagen fliehen, werden weiterhin versuchen, über Libyen nach Europa zu kommen –ungeachtet der Anzahl der Festnahmen von Schleusern. In Niger, beispielsweise, haben Menschen bereits begonnen, gefährlichere Routen zu nehmen, die sie auf dem Weg nach Agadez durch die Wüste führen, einschließlich erhöhter Schleuserkosten, was möglicherweise weitere Menschenleben kostet.
Die Öffnung und Stärkung sicherer und regulärer Wege nach Europa ist unabdinglich, um Schleuseraktivitäten zu verhindern und so die Todesfälle im Mittelmeer bedeutend zu senken; dies könnte auch die Ausgaben für europäische Rettungs- und Sicherheitsmaßnahmen deutlich senken.
Das EU-Türkei Abkommen kann nicht als Vorbild genommen werden
Das EU-Türkei Abkommen wurde vom Malta Gipfel als Erfolg bezeichnet. Die Einschätzung erfolgte nur auf Grundlage der Zahl der Ankünfte während die immensen humanitären Kosten solch eines Abkommens nicht in Betracht gezogen wurden. Tausende Flüchtlinge und Migrant*innen, die eine Rückführung in die Türkei riskieren, verharren unter unmenschlichen und lebensbedrohlichen Bedingungen auf griechischen Inseln. Weiterhin hat das Abkommen eine Umlenkung der Flüchtlings- und Migrationsbewegungen auf die Balkanroute befördert, was in einigen Fällen zu Tod wegen Unterkühlung geführt hat. Der Verlauf dieser Routen ist weniger eindeutig, einsehbar und die mediale Berichterstattung geringer. Dies führt zu der Vorstellung, dass das EU-Türkei Abkommen tatsächlich Ankünfte gestoppt hat.
Es fehlen Nachweise, dass die EU Folgenabschätzungen durchgeführt hat bezüglich der möglichen Auswirkungen der politischen Maßnahmen auf die Menschen, die davon betroffen sind. Die EU muss vollständige Verantwortung für die Folgen politischer Maßnahmen in Libyen und für möglicherweise daraus resultierendes menschliches Leiden übernehmen.