Input der BAG-Vorsitzenden Dietlind Jochims:
Deal Or No Deal: Entwicklung der so genannten „Vereinbarung“ seit 2015
2014:
Im Jahr 2014 gibt es bundesweit etwas über 200 Kirchenasyle.
Manfred Schmidt, der damalige Präsident des BAMF äußert im Oktober 2014 Kritik an der Anzahl der Kirchenasyle mit Dublin-Bezug. Er äußert den Verdacht, Kirchen nutzten das Kirchenasyl systematisch als Kritik am Dublin-System. Es gibt Überlegungen, die Überstellungsfrist bei Kirchenasyl auf 18 Monate hochzusetzen.
2015:
Anfang Februar äußert sich der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière zum Kirchenasyl. Keine Institution könne ihr Recht über das deutsche Gesetz stellen. In diesem Zusammenhang nennt er als Beispiel die Scharia. Als Verfassungsminister lehne er Kirchenasyl prinzipiell und fundamental ab. In Einzelfällen habe er jedoch Verständnis für Gnade vor Recht. Die Kirchen missbrauchten jedoch Kirchenasyl, um systematisch Rücküberstellungen zu verhindern. Er wolle allerdings keine große Diskussion darüber lostreten. Über Monate gab es dann allerdings eine laute Diskussion und große Auseinandersetzung. Am 25. Februar 2015 trafen sich die Prälaten Dutzmann und Jüsten mit BAMF-Präsident Manfred Schmidt Dutzmann äußerte sich danach, es sei gelungen, die Wogen im Streit zu glätten. Der „Kompromiss“ sah folgendermaßen aus:
Kirchen:
*KA ist Tradition und christliches Selbstverständnis
*keine Infragestellung des Rechtsstaates
*und keine Systemkritik mit Einzelfällen
de Maizière: *Rücknehme des Scharia-Vergleichs
Schmidt: *vorerst keine Verlängerung auf 18 Monate
Vereinbart wurde ein Pilotprojekt für zunächst sechs Monate mit dem Ziel, gemeinsam nach guten humanitären Lösungen zu suchen, die Kommunikation in besonderen Härtefällen zu verbessen und den Kirchen die Möglichkeit gegeben, Dossiers einzureichen. Kirchen UND BAMF sollten konkrete Ansprechpersonen für Kirchenasyl benennen. Das, nicht mehr und nicht weniger, war die Vereinbarung von 2015. Von allen Seiten wurde sie allgemein begrüßt. Als BAG Asyl in der Kirche äußerten wir aber auch: Es ist nur ein Aufschub. Außerdem bedeutete die Vereinbarung keinerlei rechtlich bindende Wirkung für Kirchengemeinden und Ordensgemeinschaften, die Kirchenasyle durchführten.
Die Benennung der Ansprechpersonen verlief in den evangelischen Landeskirchen unterschiedlich. Katholischerseits wurden die katholischen Büros zuständig, freikirchlich gab es bundesweit einen zentralen Ansprechpartner. Auf BAMF-Seite wurde Abteilung für Qualitätssicherung zuständig erklärt.
In der Anlaufphase der Vereinbarung nahmen wir als BAG Asyl in der Kirche einen guten und offenen Austausch war. Es gab mehrere gemeinsame Treffen und den erklärten Willen, die Vereinbarung gemeinsam umzusetzen. In dieser Anfangsphase wurde die große Mehrheit der inhaltlich entschiedenen Fälle durch das BAMF positiv beschieden (ca. 80%).
Anmerkungen dazu:
1) es wurde in vielen Fällen kein Dossier eingereicht (musste es ja auch nicht)
2) die Mehrzahl der Fälle erledigte sich durch Fristablauf
3) die 80% der inhaltlich positiven Entscheidungen beruhen auf nordkirchlicher Auswertung von über 500 Dossiers (2015-20). Aus anderen Regionen vergleichbare Zahlen
2016
Im Mai 2016 ändert sich die Zuständigkeit im BAMF von der Qualitätssicherung zum Dublinreferat und sofort werden Veränderungen spürbar. Die Kommunikation mit dem BAMF wird schwieriger, es gibt keine Möglichkeit der telefonischen Rücksprache mehr, Nachfragen werden langsamer beantwortet, wenn überhaupt. Die inhaltlichen Anforderungen an Dossiers (bez. Gutachten, Attesten, Belegen) werden strenger und die Selbsteintritte sinken (zumindest für die Statistik der Nordkirche) von ca. 80 auf ca. 40%.
Gleichzeitig verzeichnen wir einen weiteren Anstieg der KA-Zahlen ungefähr in Relation zum Anstieg der Zahl der ankommenden Geflüchteten.
2017
Bei einem Treffen von Kirchen und BAMF im Juni wird angekündigt, das BAMF wolle nun die Verlängerung der Frist durchsetzen. Dies konnte allerdings noch einmal verhindert werden. Im Dezember teilt das BAMF mit, man werde nun die Anzahl der eingereichtes Dossiers genau beobachten.
Im Dezember ist Kirchenasyl das erste Mail Tagesordnungspunkt der Innenministerkonferenz. Ein Vorschlag aus Schleswig-Holstein konnte erheblich abgemildert werden. Auf der nächsten IMK solle das Thema noch einmal besprochen werden. Punkte, die die Innenminister kritisierten waren die Anzahl eingereichter Dossiers und dass die allermeisten Kirchenasyle nach Ablehnung des Dossiers nicht beendet wurden.
2018
Die Selbsteintritts-Quote (Posititve Entscheidung über das Dossier) sank bis zum Sommer 2018 auf ca 20%. Nach der IMK Juni 2018 kam zum August eine einseitig verkündete Verschärfung:
*Dossier innerhalb von einem Monat und nicht weniger al 15 Tage vor Fristablauf, sonst 18 Monate
*Nach Ablehnung Verlassen von KA innerhalb von drei Tagen, sonst 18 Monate.
Nach Anwendung dieser verschärften Regeln: Sinken der SER auf 3%
Die Klagen gegen Verlängerung waren jedoch ganz überwiegend erfolgreich. Dennoch hielt das BAMF an dieser Praxis fest, auch nach BVerwG Beschluss in 6/20.
Momentan sinken die Kirchenasyl-Zahlen aus unterschiedlichen Gründen. Sehr wenige KA werden nach Ablehnung beendet. Die aktuelle Situation ist für alle, besonders Menschen im Kirchenasyl zunehmend belastend und unberechenbar. Dazu kommen die Corona-Pandemie und die Aussetzung von Dublin-Fristen.
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Die Präsentation von Benedikt Kern vom ökumenischen Netzwerk Kirchenasyl in NRW finden Sie hier.
Anstelle eines schriftlichen Beitrags von Johanna du Maire verweisen wir auf das letzte Interview des Bevollmächtigten des Rates der EKD, Prälat Martin Dutzmann.