BAG INFOBRIEF 2/23

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Kirchenasyl-Jubiläum in Berlin

Ende des Monats ist es soweit: Wir begehen am 30. und 31. August in der Heilig-Kreuz-Kirche Berlin, wo 1983 das erste Kirchenasyl stattfand, das 40-jährige Jubiläum der modernden Kirchenasyl-Bewegung in Deutschland. Neben Gedenken und Diskutieren werden auch der gemeinsame Austausch und das Feiern nicht zu kurz kommen. Wir haben bereits ca. 120 Anmeldungen erhalten, wer spontan noch Interesse hat, dazuzukommen, kann sich über die Homepage der Ev. Akademie zu Berlin anmelden.

Die erneuten Ankündigungen zur weiteren Abschaffung des Grundrechts auf Asyl auf europäischer Ebene und von der deutschen Innenministerin erfüllen uns mit Sorge. Auch das Kirchenasyl steht unter Druck. Umso mehr freuen wir uns auf zwei Tage voller Anregungen und Bestärkung und darauf, einige von euch und Ihnen wieder einmal zu sehen oder neu kennenzulernen.

Viele Grüße,

Dietlind Jochims,
Vorstandsvorsitzende der Ökum. BAG Asyl in der Kirche e.V.

 

Ev. Kirchentag

Im Juni waren wir mit einem Messestand, einem gut besuchten politischen Nachtgebet zum Kirchenasyl und bei einer spontanen Kundgebung vor der Messe auf dem Evangelischen Kirchentag in Nürnberg vertreten.  In zahlreichen Gesprächen konnten wir Gemeindemitglieder ermutigen, auch bei sich vor Ort Gespräche über die Gewährung von Kirchenasyl zu beginnen. Auch durften wir viel von Erfahrungen mit Kirchenasyl in verschiedenen Regionen hören. Beim politischen Nachtgebet unter dem Motto „Ein Tisch im Angesicht meiner Feinde“ brachte Kirsten Fehrs, Bischöfin der Nordkirche es auf den Punkt:

„Jetzt ist die Zeit,
Menschen zu ermutigen, helle Orte mit langen Tischen zu öffnen und nicht höhere Zäune zu errichten.“

Abschiebung aus dem Kirchenasyl gestoppt!

Nachbreitem zivilgesellschaftlichen Protest hat die Stadt Viersen die Überstellung eines kurdischen Ehepaars in letzter Minute gestoppt. Die beiden hatten seit Mai 2023 Kirchenasyl in der Evangelischen Kirchengemeinde Lobberich/ Hinsbeck (Stadt Nettetal, Kreis Viersen, NRW) gefunden.

Was war passiert? Am frühen Morgen des 10.07.2023 drangen Mitarbeitende der Ausländerbehörde Viersen mit Polizei und Amtsarzt gewaltsam in die Räume ein, in denen die Kirchenasylgäste untergebracht waren.  Der Bruch des Kirchenasyls geschah ohne vorherige Ankündigung. Nach-dem die Abschiebung auf dem Weg zum Flughafen aus medizinischen Grün-den abgebrochen werden musste, wurden die beiden irakischen Staatsbürger*innen in die Abschiebehaft-anstalt Darmstadt gebracht. Ein erneuter Versuch einer sogenannten Dublin-Überstellung des Paars nach Polen wurde für Dienstag, den 25.07.2023 angesetzt.

Aus der Abschiebehaft meldete sich Frau H. mit einem offenen Brief, in dem es unter anderem hieß: „Mein Mann und ich wollten nur nach Deutschland kommen und in Frieden leben, da es ein Land der Menschenrechte ist, insbesondere der Frauen. Ich möchte mein Recht von diesen Menschen, die die härtesten Taten gegen uns begangen haben. […] Vergessen Sie nicht, dass Sie, wenn Sie meine Stimme hören, in mir die Hoffnung wecken können, aus diesem hoffnungslosen und einsamen Ort befreit zu werden. Ich möchte, liebe Zuhörende, dass ihr euch vorstellt, dass ihr jede Nacht nicht schlafen könnt. Wie wirst du dich fühlen, wie wirst du leben, wie wirst du Angst und Furcht überleben? Ihr kennt die Antwort und antwortet mit offenem Herzen. Ich möchte, dass mein Mann und ich sicher in Deutschland leben können, ohne Gewalt, obszönen Worten, ständigen Drohungen und ohne Abschiebungen von einem Ort zum anderen ausgesetzt zu sein. Ich hoffe, dass ihr mir helfen werdet, meine Stimme an den gewünschten Ort zu bringen und mich und meinen Mann von all diesen Albträumen zu befreien.“

Laut Behörden gab es neue Informationen und Unsicherheiten, weshalb die Familie letztlich am 24.07. aus der Abschiebehaft entlassen wurde Inzwischen konnten beide das Kirchenasyl verlassen, einen Asylantrag stellen und wohnen wieder in der kommunalen Flücht-lingsunterkunft. Auch teilte das Innen-ministerium in NRW mit, die wegen der Corona-Pandemie abgebrochenen Gespräche mit den Kirchen zum Kirchenasyl wieder aufnehmen zu wollen. Wie begrüßen dies ausdrücklich! Der Familie H. hätte viel Leid erspart werden können, wenn die Behörden das Kirchenasyl respektiert hätten. Letztlich weist auch dieses Kirchenasyl aber wieder auf einen größeren Zusammenhang hin, den Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von Pro Asyl treffend zusammengefasst hat: „Vielen weiteren Asylsuchenden in Deutschland droht genau das, obwohl sie in Polen Grenzgewalt und Pushbacks erlebt haben. Auch die regelmäßige Inhaftierung von nach Polen abgeschobenen Menschen müsste Grund genug sein für die Bundesregierung, keine Dublin-Rückführungen nach Polen mehr durchzuführen.“

Frag Dr. Sommer

Beim Flüchtlingsschutzsymposium der Evangelischen Akademie zu Berlin im Juni hatten wir die Gelegenheit, Dr. Sommer, dem Chef des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Fragen zu übergeben, die wir auf dem Ev. Kirchentag in Nürnberg gesammelt hatten.

Wir veröffentlichen hier eine kleine Auswahl der Fragen und sind schon gespannt auf die Antwort aus dem BAMF:

„Warum werden die Härtefalldossiers i.d.R. mit „Worthülsen“ ohne Berücksichtigung der vorgelegten Dokumente abgelehnt?“

„Wie „hart“ muss der Fall sein, damit er anerkannt wird?“

„Warum arbeitet Ihre Behörde nicht wie andere Behörden? Standards, Erreichbarkeit, Transparenz,…“

„Warum sind so viele Menschen im Kirchenasyl, deren Schicksale uns fassungslos machen, wenn Sie doch angeblich alle Härtefälle erkennen?“

 „Wie kann es sein, dass dieselbe Abteilung einer Behörde die Entscheidungen fällt, die auch qualitativ überprüfen soll?“

„Halten Sie es für realistisch, was Sie Menschen nach Pushbacks und Gewalterfahrungen antworten, nämlich: Es ist zu erwarten, dass diese sich zur Beschwerde an die zuständigen Vorgesetzten in Kroatien wenden?“

Bei der spontanen Übergabe unserer Fragen während des Symposiums erwiderte Herr Dr. Sommer, für das gemeinsame Dossier-verfahren müssten beide Seiten auch fair miteinander umgehen. Zumindest für die Kirchenasyl-Bewegung können wir darauf nur antworten, dass wir uns seit 40 Jahren um gute Kommunikation bemühen in unserem Einsatz für Humanität und faire Verfahren.


Kirchenasyl in Zahlen

Aktuell wissen wir von 431 Kirchenasylen, davon 405 mit Dublin-Bezug. Laut unserer Statistik sind momentan mindestens 655 Personen im Kirchenasyl, darunter 136 Kinder.

Im Jahr 2023 gab es bereits mindestens 81 Kirchenasyle mit 161 Personen, davon 53 Kinder, durch die eine Abschiebung nach Polen abgewendet werden konnte.

 

Reise an die Polnisch-Belarussische Grenze

Im Anschluss an unser Jubiläum werden wir mit einer Internationalen Delegation des International Sanctuary Networks an die Polnisch-Belarussische Grenze reisen. Mit dabei sind u.a. Vertreter*innen von No More Deaths aus Arizona(USA), Aegean Migrant Solidarity aus Lesbos (GR), dem Canadian Sanctuary Movement und von Fray Matias aus von der Grenze zwischen Guatemala und Mexiko. Auf unseren Social Media Kanälen (Facebook und Twitter)  werden wir regelmäßig dazu posten und auf unserer Homepage berichten.

Rechtshilfe-Fonds

Wenn nach dem Kirchenasyl Geldbußen gezahlt werden müssen, können die meisten Pfarrer*innen und Ordensleute glücklicherweise auf den Rückhalt ihrer Kirchen und Gemeinschaften zählen. Für die Flüchtlinge, die im Kirchenasyl waren, sieht dies anders aus. Obwohl verwaltungsrechtlich geklärt ist, dass Kirchenasyl kein Untertauchen ist, kommt es in manchen Fällen zu Bußgeld-Bescheiden. Wir lassen die betroffenen Flüchtlinge und Gemeinden, die Kirchenasyl gewähren, damit nicht allein.

Aus unserem Rechtshilfefond unterstützen wir bei Kosten in Straf- oder Ermittlungsverfahren gegen Geflüchtete, wenn diese aufgrund eines Kirchenasyls entstanden sind. Dies beinhaltet auch mögliche Übersetzungs- und Gutachtenkosten.

Auf www.kirchenasyl.de/rechtshilfe finden Sie ein einfaches Antragsformular zum Herunterladen. Bei Fragen, Bedarf oder Interesse können Sie sich gern auch per Mail an unsere Geschäftsstelle melden.

Wir brauchen Ihre Unterstützung

Die Ökumenische BAG Asyl in der Kirche ist der organisatorische Zusammenschluss der Kirchenasylbewegung in Deutschland. Sie besteht Kirchengemeinden und Regionalnetzwerken aller Konfessionen, die bereit sind, Flüchtlinge im vor Abschiebung zu schützen, wenn begründete Zweifel an einer gefahrlosen Rückkehr bestehen. Als BAG treten wir für die Flüchtlinge und deren Unterstützer*innen ein, durch Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit, Dokumentation von Kirchenasyl, Publikationen, Tagungen und Beratung von Gemeinden. Für den Fortbestand unserer kontinuierlichen Arbeit sind wir auf Ihre Spende angewiesen.

BAG Asyl in der Kirche | IBAN: DE68 3506 0190 1013 1690 19 |BIC: GENODED1DKD

 

Impressum:
Herausgeberin: Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche e.V.
Kirche Zum Heiligen Kreuz, Zossener Str. 65, 10961 Berlin
V.i.S.d.P.: Dietlind Jochims
Redaktion und Gestaltung: Ulrike La Gro
Bilder: Ulrike La Gro/BAG, Jan Niklas Collet, Dietlind Jochims/BAG, Ulrike La Gro/BAG
www.kirchenasyl.de | | Facebook und Twitter @kirchenasyl