Die Verschärfungen des Asylrechts in den skandinavischen Ländern, unter anderem in Schweden, bringen immer mehr geflüchtete Menschen in prekäre Situationen. Besonders existentiell trifft dies in Schweden abgelehnte Asylsuchende: Obdachlosigkeit und fehlende Versorgung oder die Angst vor der Abschiebung ins Herkunftsland zwingen zunehmend Schutzsuchende zur erneuten Flucht in ein anderes europäisches Land. Daher ist die Situation auch für uns als Kirchenasylbewegung wichtig. Wir haben mit dem Asylrechtsexperten Michael Williams über die Situation geflüchteter Menschen in Schweden gesprochen.
In Schweden hat sich in den letzten Jahren ein grundlegender Wandel vollzogen. Von der einst progressiven Migrationspolitik des 10,4 Millionen-Einwohner*innenstaates ist nicht mehr viel übrig. Stattdessen, fürchtet Migrationsexperte Michael Williamson, würden durch den harten Kurs in Sachen Asyl, antidemokratische und nationalkonservative Kräfte gestärkt.
Michael Williams ist selbst vor über 50 Jahren aus Wales nach Schweden eingewandert. Er gründete 1988 FARR – Flyktinggruppernas Riksråd (FARR), das Schwedischen Netzwerk der Unterstützungstrukturen für Geflüchtete mit, dessen Vorsitzender er von 1988 is 2008 war. Heute ist er weiterhin im FARR-Vorstand aktiv und co-koordiniert das juristische Netzwerk der brüsseler Organisation ECRE (European Council of Refugees and Exiles). Außerdem unterstützt und berät er geflüchtete Menschen in Schweden unter anderem in asylrechtlichen Fragen.
Wir sprachen mit Michael Williams, wenige Wochen nachdem in Hamburg ein Kirchenasyl von der Polizei geräumt und der Betroffene nach Schweden abgeschoben wurde. Die Kirchengemeinde hatte entschieden, dem schwer psychisch erkrankten Mann aus Afghanistan Schutz zu gewähren, um ihn vor der drohenden Obdachlosigkeit in Schweden zu bewahren und die Behandlung seiner Erkrankung zu ermöglichen.
Die sogenannte Dublin-Verordnung regelt die Verteilung von Asylsuchenden EU-weit. Entsprechend soll das Asylverfahren in dem Land durchlaufen werden, in dem die Person zum ersten Mal auf europäischem Boden registriert wurde. In vielen Fällen sind es also die Länder an den Außengrenzen der Europäischen Union wie Bulgarien, Griechenland oder Italien, die für die Asylverfahren verantwortlich wären. Nach Griechenland etwa, nahm Deutschland eine Zeit lang wegen der gravierenden Mängel im dortigen Asylsystem keine Überstellungen vor.
Doch auch die Aussichten für Menschen, die nach Schweden zurückgebracht werden, seien düster, so Williams. “Die Menschen werden einfach abgeladen, ohne Zugang zu jeglicher finanzieller Unterstützung oder Unterkunft, sofern sie nicht direkt in Haft landen.” Zurück ins System zu kommen ist kompliziert und nicht alle Anträge werden zugelassen. So sind es oft Nicht-Regierungsorganisationen, Kirchen und Ehrenamtliche sowie etwaige Familienangehörige und Freund*innen, die eine wichtige Rolle in der Versorgung derjenigen spielen, die durchs staatliche System fallen.
Diese Politik betrifft jedoch nicht nur abgelehnte Asylbewerber*innen. Die neue Nicht-Willkommenskultur gefährdet auch den Aufenthalt von Menschen die seit mehreren Jahren in Schweden leben, arbeiten und sich ein Leben aufgebaut haben. “Die Kommunen sagen es ist verrückt, die Gewerkschaften sagen es ist verrückt, aber die Politik zieht ihren Kurs durch”, so Migrationsexperte Williams. Bisher konnten diejenigen, die während ihres Asylverfahrens bereits einen Job hatten über diesen Weg ihren Aufenthalt legalisieren, selbst wenn ihr Asylantrag abgelehnt worden ist. Die Regierung hat das für diesen Schritt notwendige Mindesteinkommen nun um mehr als 200% erhöht. „Menschen, die als Minderjährige hierher kamen und jetzt beispielsweise in der Pflege arbeiten, könnten durch diese Regelung ihren Aufenthaltsstatus verlieren, der alle zwei Jahre verlängert werden muss“, erklärt Michael Williams.
“Schweden ist ein kleines Land und diese aggressive Anti-Migrationspolitik wird langfristig unserem Ruf in der Welt schaden.” Laut Williams gehe es dabei nicht nur um Asylsuchende, sondern auch um die Attraktivität Schwedens als Einwanderungsland. “Wir brauchen Kompetenzen in allen Bereichen, so wie jede Gesellschaft”, sagt Williams.
Unsicherheit und das Gefühl nicht als Mitglied der Gesellschaft erwünscht zu sein, erschweren die Situation für Migrant*innen wie für Geflüchtete in Schweden. “Die Methode heißt `langfristige Befristung´”, so Williams. “Früher bekamen anerkannte Asylsuchende eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis und musste sich keine Sorgen mehr machen. Heute wird alle paar Jahre wieder geprüft, ob die Gründe für eine Verlängerung nach wie vor vorliegen. Wenn nicht, kann es sein, dass die Menschen Schweden verlassen müssen. Es dauert auch länger, bis man die Staatsangehörigkeit bekommen kann und sich als Teil der Gesellschaft fühlen darf – alles signalisiert dir, dass du nicht willkommen bist.”
Auch vor Schweden hat der politische und gesellschaftliche Rechtsruck nicht Halt gemacht. Die rechtskonservativen Schwedendemokraten holten bei der letzten Wahl 2022 genug Stimmen, um auf die Minderheitsregierung aus Konservativen, Liberalen und Christdemokraten Einfluss nehmen zu können. Die Wunschliste der Schwedendemokraten sieht die Abschaffung progressiver Errungenschaften vor, die jahrelang Teil der schwedischen Migrationspolitik waren.
Die ein oder anderen werden aufmerken, denn in diesen Bereichen hat Deutschland mit dem Chancenaufenthaltsrecht, der Ausbildungsduldung und zuletzt mit der Reformation des Staatsangehörigkeitsrecht erst kürzlich Verbesserungen hin zu einem modernen Migrationsrecht geschaffen. Zukünftig sollen Schutzsuchende in Schweden für die Dauer des kompletten Verfahrens in großen Zentren untergebracht werden.
“All diese Veränderungen wurden von den Parteien mitgetragen, die einst für den Flüchtlingsschutz standen.” bedauert Williams. Diese Position bleibt in der politischen Landschaft Schwedens unbesetzt, positive und progressive Visionen von Migrationspolitik und Flüchtlingsschutz fehlen zumindest in der Politik. Williams appelliert am Ende unseres Gespräch nochmal deutlich an den Zusammenhalt derjenigen, die Menschenrechte hochhalten: “Wir dürfen keinesfalls aufgeben, sondern müssen zusammenstehen, um diejenigen zu unterstützen, denen ihre Rechte und Würde genommen werden; das Elend der Menschen kann keine Lösung sein.”