Bedrohter Schutzraum Kirchenasyl

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Über 40 Jahre kirchliche Bleiberechtskämpfe und den zunehmenden politischen Druck

Dieser Beitrag wurde verfasst von Marlene Auer, Referentin der Ökum. BAG Asyl in der Kirche e.V. für die Rosa Luxemburg Stiftung und zuerst hier veröffentlicht: Bedrohter Schutzraum Kirchenasyl – Rosa-Luxemburg-Stiftung

Als sich im Sommer 2015 eine ganze Bewegung von Freiwilligen für Geflüchtete einsetzte und die Unterstützungsbereitschaft in der Zivilgesellschaft groß war, entwickelten sich auch zwischen Kirchengemeinden und gerade erst gegründeten Willkommensinitiativen neue Bündnisse. Doch weder der staatlich tolerierte Fluchtkorridor über die sogenannte Balkanroute noch die hohe Unterstützungsbereitschaft hielten an. Innenpolitisch ging man wieder zu der Prämisse über, die Abschiebezahlen möglichst hoch und die Ankunftszahlen möglichst niedrig zu halten. Daher steht auch das Kirchenasyl immer wieder unter Druck. Doch der Aufschrei gegen die Räumungsversuche und Abschiebungen aus Kirchenasylen muss hörbar sein, wenn er wirken will. 

Die Anfänge der Kirchenasylbewegung

Am 30. August 1983 starb der politische Geflüchtete Cemal Kemal Altun, als er sich während der Verhandlung um seine Abschiebung aus dem Fenster eines Berliner Gerichtsaals stürzte. Eine zuvor bereits versuchte Auslieferung Altuns an die damalige türkische Militärdiktatur war im März 1983 durch internationalen Protest gestoppt worden. Tausende schlossen sich dem Trauerzug durch Berlin-Kreuzberg an, als Altun am 4. September 1983 zu Grabe getragen wurde. Altuns Tod gab den Anstoß für die ersten Kirchenasyle: Kirchengemeinden wollten nicht hinnehmen, dass Menschen aus Furcht um ihr Leben keinen Ausweg mehr sehen.

Seitdem ist das Kirchenasyl vieles zugleich: letzte Hoffnung für Schutzsuchende, gelebte Nächstenliebe und Solidarität, die Gemeindemitglieder zusammenbringt; aber auch immer wieder ein Dorn im Auge mancher Politiker*innen und Journalist*innen. Im Juli 2025 suggerierten Medien der Springergruppe, Kirchenasyl würde jedes Jahr Tausende Abschiebungen verhindern, und hetzten mit dem fadenscheinigen Verweis auf Laizismus und Rechtsstaatlichkeit gegen kirchlichen Flüchtlingsschutz. Die AfD forderte bereits mehrfach öffentlich, das Kirchenasyl gehöre «abgeschafft».

Doch Kirchenasyl ist eben kein Verwaltungsakt, der sich von staatlicher Seite steuern ließe. Denn hinter dem Kirchenasyl stehen Menschen, die sich aus tiefster Überzeugung seit Jahren und Jahrzehnten für Flüchtlingsschutz und Bleiberecht einsetzen. Eine Bewegung also – und eine Bewegung lässt sich nicht einfach abschaffen. 

Druck aufs Kirchenasyl: Kriminalisierung und Räumungen 

Anfeindungen ist die Kirchenasylbewegung gewohnt. Im Februar 2015, einige Monate bevor gut tausend Menschen mit dem March of Hope die Bundesregierung – zumindest kurzfristig – zu einer Politik der humanitären Aufnahme bewegten, meldete sich der damalige Bundesinnenminister Thomas De Maizière (CDU) zu Wort. Sein berühmt gewordener Vergleich zwischen Kirchenasyl und islamischer Scharia, die beide nicht über dem deutschen Recht stehen dürften, rief Entrüstung hervor. Was De Maizière aber eigentlich erzürnte war, dass das Kirchenasyl als gelebte Praxis der Nächstenliebe mehr als nur einer Handvoll Geflüchteter zugutekam, und er warf den Kirchen vor, das Kirchenasyl politisch zu missbrauchen. Auch 2025 ist von Politiker*innen wieder ein ähnlich klingender Vorwurf zu hören: Sie sehen in den steigenden Kirchenasylzahlen den Grund dafür, dass die Zahl der Abschiebungen nicht so hoch ist, wie sie es gern hätten.

Aber kritisch gefragt: Ist Kirchenasyl nicht ein aus der Zeit gefallenes Sonderrecht der Kirchen? Dazu haben sich eine Vielzahl von Autor*innen in den Kommentarspalten zahlreicher Medien geäußert. Wir sind der Ansicht, dass Kirche Verantwortung für gesellschaftliche Fragen übernehmen muss und zu diesen zählt auch der Schutz Geflüchteter. Mit dem Kirchenasyl mischen Gemeinden sich ein, statt zu schweigen. Sie treten zwischen Staat und Individuum und setzen sich für eine humanitäre Lösung ein. Doch ebenjene Suche nach einer guten Lösung ist in den letzten zehn Jahren schwierig geworden. Der politische Unwille hat die Behörden durchdrungen. Gab es 2015 noch viele gute Gespräche und Dialogbereitschaft, macht sich inzwischen aufseiten der Kirchengemeinden Resignation breit. Sie beklagen, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in seiner Entscheidungspraxis weder individuelle Härtefälle noch regelmäßig beobachtete und dokumentierte Mängel im Asylsystem anderer EU-Mitgliedstaaten ausreichend berücksichtigt. Von Behördenseite heißt es, die Kirchen würden die 2015 getroffene Vereinbarung zwischen Bundesinnenministerium und den großen Kirchen in Deutschland missachten.

Ebenjene Vereinbarung hat das Kirchenasyl auf gewisse Weise institutionalisiert, Regeln für die Kommunikation festgelegt und Ansprechpersonen benannt. Sie hat Gemeinden und Geflüchteten aber auch eine gewisse Sicherheit gegeben, dass sie sich mit dem Kirchenasyl in einem zumindest tolerierten Rahmen bewegen. Ob diese Vereinbarung nun Segen oder Fluch ist, daran scheiden sich innerhalb der Bewegung die Geister.

Von der Willkommenskultur zur Räumung

Die meisten werden sich im Zusammenhang mit dem «Sommer der Migration» 2015 an das euphorische Engagement vieler Freiwilliger und die große zivilgesellschaftliche Unterstützungsbereitschaft erinnern. Die von staatlicher Seite unterstützte Willkommenskultur kam in diesem Falle auch dem Einsatz gegen Abschiebungen zugute. Im Taumel des Herbst 2015 war Kirchenasyl fast «in Mode».

Doch schon ab 2017 gerieten mehrere Pfarrer*innen und Ordensleute sowie die Menschen, die sich jeweils in Kirchenasylen befanden, ins Visier der Justiz. Die eingehenden Strafanzeigen lösten Empörung und eine Welle der Solidarisierung mit dem Kirchenasyl aus. Die Verfahren, die gegen die asylgewährenden Geistlichen geführt wurden, endeten oft mit Freisprüchen und die Kriminalisierungsversuche ebbten in den folgenden Jahren wieder ab. Im Unterschied dazu wurden die Anklagen gegen die betroffenen Schutzsuchenden zumeist nicht fallen gelassen. 

Im vergangenen Jahr 2024 kam es vermehrt zu Abschiebungen und Abschiebeversuchen von Menschen im Kirchenasyl. Bisher zählt die Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche elf Räumungen und versuchte Räumungen von Kirchenasylen seit Mitte 2023. Darüber hinaus kommt es immer wieder zu Räumungsandrohungen seitens der Behörden, und wir vermuten, dass darüber hinaus nicht alle versuchten Räumungen öffentlich gemacht wurden. Das Eindringen von Polizei und Ausländerbehörden in Kirchengebäude ist vor allem Symbolpolitik und Machtdemonstration auf dem Rücken der Schutzsuchenden. Doch der bleibenden Verunsicherung stehen Solidarität und Mut gegenüber. Die Verteidigung eines Kirchenasyls in Bremen Ende 2024 zeigte einmal mehr, wie viel Stärke breite Bündnisse entfalten können. Allerdings entzündet sich an jeder Räumung die mediale Debatte um die Rechtmäßigkeit des Kirchenasyls, die weiteren Angriffen von rechts Vorschub leistet.

Kirchenasyl und das EU-Grenzregime

Die Debatte um das Kirchenasyl dreht sich oftmals allein um die Frage, ob es nun «legal» ist oder nicht, dass sich eine Kirchengemeinde zwischen von Abschiebung bedrohte Menschen und den Staat oder – wie es in der aufgeheizten Debatte meist formuliert wird – «über den Rechtsstaat» stellt. Nicht diskutiert wird, inwiefern die staatliche Abschiebepraxis und deren Verschärfung überhaupt mit grundlegenden humanitären Werten oder mit internationalem Recht und den entsprechenden, auch von Deutschland ratifizierten Konventionen vereinbar ist. Die Dublin-Verordnung, von der die große Mehrheit der Menschen, die Schutz im Kirchenasyl finden, betroffen ist, ist neben dubiosen Abkommen mit Drittstaaten, der Militarisierung der EU-Außengrenzen und der Normalisierung von Gewalt und Pushbacks einer der Grundpfeiler des EU-Grenzregimes.

Laut Dublin-Verordnung ist das Land, in dem eine Person zum ersten Mal EU-Boden betritt, verantwortlich für die Durchführung ihres Asylverfahrens. Dass dieses Verteilsystem sich einseitig auf die Staaten an den EU-Außengrenzen auswirkt und zudem jegliche persönlichen Präferenzen und Ressourcen wie Sprachkenntnisse und Netzwerke der Betroffenen ignoriert, steht außer Frage. Fast alle Menschen, die in Deutschland ankommen, um Asyl zu beantragen, sollten dies, laut Dublin-Verordnung, eigentlich in einem anderen Land tun. Da Deutschland nicht die Kapazitäten hat, all diese Menschen auch wirklich abzuschieben, wird das Dublin-System – auch von Konservativen – als dysfunktional bezeichnet und zudem neuerdings von der Regierung Merz durch rechtswidrige Zurückweisungen an den Grenzen systematisch unterlaufen.

Wer sich zum Beispiel in Bulgarien mit Geflüchteten aus Syrien oder Afghanistan unterhält, begegnet immer wieder Menschen, die überraschend gut Deutsch sprechen, deren Brüder und Schwestern in der Nähe von Dortmund oder Stuttgart leben und die sich vor allem fragen, wie sie am schnellsten wieder zurück nach Deutschland kommen. Die Situation dieser Menschen zeigt eindrücklich, was im europäischen Verteilsystem schiefläuft. In den vergangenen Jahren haben viele Geflüchtete in Bulgarien das erste Mal EU-Boden betreten. Polizeigewalt gegen Schutzsuchende und Pushbacks sind dort an der Tagesordnung und gut dokumentiert. Auch die Unterbringungsbedingungen und medizinische Versorgung unterschreiten grundlegende Standards. Die Möglichkeiten, etwa durch Spracherwerb, Ausbildung und Lohnarbeit Teil der bulgarischen Gesellschaft zu werden, sind gering. Bulgarien steht hier beispielhaft für viele Staaten, in denen Geflüchteten Obdachlosigkeit droht, sie nicht vor Kettenabschiebungen ins Herkunftsland geschützt sind oder standardmäßig inhaftiert werden. 

Trotzdem üben die Kirchen nach eigener Aussage keine systemische Kritik an der Dublin-Verordnung. Aber sie fangen besonders vulnerable Personen auf, die durch die Raster der deutschen Behörden fallen und vielleicht mehr als andere unter den Konsequenzen dieses unmenschlichen Verteilsystems zu leiden haben. So ist es etwa für Menschen mit psychischen Erkrankungen und Traumatisierungen besonders schwierig, sich ohne entsprechende medizinische Versorgung und Unterstützung von Angehörigen und Freund*innen ein Leben aufzubauen. Eine alleinerziehende Mutter ohne jegliches Netzwerk vor Ort wird große Probleme haben, sich finanziell und psychisch über Wasser zu halten. Manche verstehen die Gewährung von Kirchenasyl lediglich als humanitären Akt der Nächstenliebe und Solidarität. Andere heben hervor, dass es, wenn Inhaftierung oder Verelendung zum Standard werden und den Großteil der Asylsuchenden betreffen, ein größeres Problem gibt, dem mit einem Stopp der Überstellungen begegnet werden muss.

Für die kommenden Jahre braucht es Mut – und starke Bündnisse

Was wohl alle, die sich an den EU-Außengrenzen, auf dem Mittelmeer, in der Rechtsberatung in Deutschland oder durch Kirchenasyl für die Menschenrechte einsetzen, hin und wieder beschleicht, ist das Entsetzen darüber, dass das, was vor zehn Jahren noch als fernes Worst-Case-Szenario galt, heute Wirklichkeit wird. Geschlossene Lager an den EU-Außengrenzen? Aussetzung des Rechts, einen Asylantrag zu stellen? Pushbacks an allen deutschen Grenzen? Asylverfahren in Drittstaaten? Keine Sicherheit vor Abschiebungen, nirgendwo? All das ist vielerorts schon Realität oder bereits im Werden. Ein Blick in die USA genügt: Kurz nach seinem zweiten Amtsantritt hob Präsident Donald Trump die Richtlinie auf, der zufolge weder in Schulen noch in Kirchen Verhaftungen zwecks Abschiebung erfolgen dürfen.

Kirchenasyl kämpft ganz praktisch und oft im Stillen für die Rechte Einzelner. Zu viel Aufsehen wollen manche aus Angst vor Anfeindungen vor Ort nicht erregen. Klar ist aber auch, der Aufschrei gegen die Räumungsversuche und Abschiebungen aus Kirchenasylen muss hörbar sein, wenn er wirken soll. Doch wie laut und kämpferisch muss und kann die Kirchenasylbewegung ihre Zufluchtsorte verteidigen? Und wie viel Gegenwind halten diejenigen, die sich an der Basis nicht nur für Geflüchtete, sondern auch für den Zusammenhalt in ihren Gemeinden einsetzen, aus?