Liebe Freund*innen der Kirchenasyl-Bewegung,
die Madonna mit dem Kind auf dem Arm steht etwas verloren am Grenzzaun in Kuźnica. Hinter ihr ein geschmückter Weihnachtsbaum auf unserem diesjährigen bitter-ironischen Adventsgruß. 187 Kilometer lang und fast sechs Meter hoch, Klingendraht on top, ist der neue Zaun an der polnisch-belarussischen Grenze. Sicher schützen soll er diese Grenze, für fast 400 Millionen. Und wer schützt die Madonna und ihr Kind, wer schützt die Geflüchteten an den Zäunen und in den Wäldern, vor den Pushbacks hier und an immer mehr Grenzen Europas? Verstummt adventliche Hoffnung auf Sicherheit und Frieden angesichts solcher Zäune? Nein – Advent war und ist immer auch widerständige Hoffnung. Am Zaun und in den polnischen Wäldern um Kuźnica versuchen Freiwillige, die Flüchtlinge auf ihrem „Weg ins Leben“ mit dem Nötigsten zu versorgen. Und wir, die wir weniger an den Grenzen als im Zentrum der EU arbeiten, können zumindest manche Madonna mit Kind auf dem Arm vor weiteren gefährlichen und entwürdigenden Situationen bewahren. Darüber hinaus fordern wir menschenwürdige Aufnahme und Versorgung Geflüchteter und faire Asylverfahren in Europa. Dafür brauchen wir Ihre Unterstützung.
Nicht nur im Advent. Aber gerade auch jetzt!
Pastorin Dietlind Jochims, Vorsitzende der Ökum. BAG Asyl in der Kirche
Best of BAMF
Seit der sog. Vereinbarung zwischen Innenministerium, BAMF und Kirchen von 2015, haben Gemeinden und Gemeinschaften, die Kirchenasyl aussprechen, die Möglichkeit, in Härtefalldossiers die Gründe für die Gewährung von Kirchenasyl darzulegen. Über 90% dieser Dossiers werden vom BAMF abgelehnt. Die Fehlerhaftigkeit der Behördenschreiben bemängeln wir seit Längerem. Auf die Dossiers der Flüchtlinge, denen bei einer innereuropäischen Abschiebung Familientrennungen, erneute Abschiebeversuche, besondere Härten und unmenschliche Behandlung drohen, reagiert die Behörde mit Schulterzucken und schnell zusammenkopierten Textbausteinen. Wir haben uns entschieden, diese Absurdität in der Kategorie „Best of BAMF“ aufzuzeigen und hier anonymisierte Ausschnitte aus Dossierablehnungen zu veröffentlichen. Wir hoffen, dass die besonderen Nöte der Menschen im Kirchenasyl zukünftig sorgfältiger geprüft werden.
Aus der Antwort des BAMF auf das Dossier einer Familie, die mehrfach Opfer von gewaltvollen Pushbacks an der bosnisch-kroatischen Grenze wurde:
„[…] Außerdem liegen dem Bundesamt auch keine Hinweise vor, dass es seitens der kroatischen Behörden zu körperlichen Übergriffen gegenüber Asylsuchenden oder illegal im Land befindlichen Personen kommt.“
Zahlreiche Berichte von Geflüchteten im Kirchenasyl, Recherchen von Journalist*innen und die kontinuierliches Dokumentation der Pushbacks durch Organisationen wie der NGO „Danish Refugee Council“ zeichnen ein anderes Bild. Die deutschen Behörden entscheiden sich bewusst, die vorliegenden Informationen zu ignorieren. Bei Gemeinden, die Flüchtlinge im Kirchenasyl aufnehmen, stoßen solche Verdrehungen der Realität in offiziellen Behördenschreiben auf Unverständnis.
Wenn Kirchenasylpraxis auf EU-Politik trifft
Vom 17.-21.10.2022 fand in Warschau die 16. Europäische Asylrechtskonferenz statt, die die Diakonie Deutschland gemeinsam mit dem Ökumenischen Rat der Kirchen in Polen und der Churches Commission for Migrants (CCME) organisierte. Als Vertreterinnen der Ökum. BAG Asyl in der Kirche konnten wir mit über 70 Teilnehmenden aus Kirchen, NGOs und Wohlfahrtsverbänden aus 15 verschiedenen Ländern über aktuelle Herausforderungen und Entwicklungen der EU-Flüchtlingspolitik diskutieren.
Seit dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine haben mehr als 4 Mio. Kriegs-flüchtlinge aus der Ukraine in Polen vorübergehenden Schutz erhalten. Den humanitären Organisationen und kirchlichen Strukturen, die die Flüchtlinge versorgen, fehlt es an Erfahrung, Erschöpfung macht sich breit und der Staat zieht sich aus der Verantwortung zurück, unterstützt die Aufnahme aber grundsätzlich.
Im Rahmen der Konferenz reisten wir auch an die polnisch-belarussische Grenze: Die polnische „Grupa Granica“, eine Vernetzung aus lokalen Aktivist*innen und mehreren kleinen NGOs, leistet an der Grenze Nothilfe in den sumpfigen Wäldern. Geflüchtete u.a. aus Syrien, Afghanistan, Jemen suchen von Belarus aus Schutz in der EU. Vom polnischen Grenzschutz werden sie brutal nach Belarus zurückgedrängt oder ohne Registrierung und Verfahren inhaftiert. Die lokale Bevölkerung ist gespalten in die, die helfen und die, die denunzieren.
Als BAG haben wir einen sehr direkten Bezug zur Situation: Seit diesem Jahr finden immer mehr Geflüchtete, die es über Polen bis nach Deutschland geschafft haben, Schutz im Kirchenasyl. Ihnen droht die Abschiebung nach Polen, dort würden sie inhaftiert, hätten kaum Chancen auf ein Asylverfahren, sondern es würde sie eine weitere Abschiebung erwarten.
Die Zukunft der EU-Flüchtlingspolitik?
Anstatt die sinnvolle temporäre Schutz-richtlinie für ukrainische Geflüchtete zur Blaupause für den Umgang mit allen Geflüchteten zu machen, soll im Dezember über die sog. „Instrumentalisierungs-verordnung“ abgestimmt werden. Diese Verordnung soll dann in Kraft treten soll, wenn Migrant*innen von Regierungen außerhalb der EU „instrumentalisiert“ werden. Grundlegende Schutzrechte könnten dann außer Kraft gesetzt und Pushbacks weiter legitimiert werden.
Taufe der Sea-Watch 5
Trotz allem hatten wir kurz vor unserer Jahrestagung auch Grund zum Feiern! In Hamburg wurde das Rettungsschiffe „Sea-Watch 5“ getauft. Taufpat*innen waren Bethi Ngari von Women in Exile, Yambio David Oliver von Refugees in Libya, Ali Ahmed von Lampedusa in Hamburg (siehe Foto). Auch der Berliner Bischof Christian Stäblein, Beauftragter des Rates der EKD für Flüchtlingsfragen und die EKD-Präses Anna-Nicole Heinrich waren mit dabei.
Kirchenasyl in Zahlen
Im November 2022 wissen wir von 314 laufenden Kirchenasylen mit mind. 500 Personen, darunter 112 Kinder. Bei der Mehrheit der Kirchenasyle handelt es sich um sog. „Dublin-Kirchenasyle“, in denen eine Abschiebung nach Polen, Rumänien oder Bulgarien droht. Laut der aktuellen Statistik des BAMF wurden bis August 2022 bereits 745 Kirchenasyle gemeldet, 242 davon allein in NRW.
Die Absurdität der Dublin-Verordnung wird in den Zahlen des BAMF noch einmal deutlich: Im ersten Halbjahr 2022 wurden 1826 Menschen von Deutschland aus in einen anderen EU-Staat abgeschoben, gleichzeitig 1766 Menschen aus anderen EU-Staaten nach Deutschland.
Gemeinsam Grenzen überwinden
Vom 4.-6.11. fand unsere Jahrestagung in Köln statt. Mit ca. 50 Teilneh-menden disku-tierten wir über die Zusammen-hänge zwischen der EU-Grenz-politik und der Kirchenasylarbeit in Deutschland. Anstatt anzuerkennen, dass das Dublin-System gescheitert ist, wird den Kirchengemeinden vorgeworfen, sich nicht an die Regeln zu halten, sobald sie systemische Mängel erwähnen. Dabei sehen wir beim Kirchenasyl im Kleinen, was in der europäischen Asylpolitik falsch läuft. Eine ausführliche Dokumentation der Tagung erscheint in Kürze auf unserer Homepage.
Wir brauchen Ihre Unterstützung
Die Ökumenische BAG Asyl in der Kirche ist der organisatorische Zusammenschluss der Kirchenasylbewegung in Deutschland. Sie besteht Kirchengemeinden und Regionalnetzwerken aller Konfessionen, die bereit sind, Flüchtlinge im vor Abschiebung zu schützen, wenn begründete Zweifel an einer gefahrlosen Rückkehr bestehen. Als BAG treten wir für die Flüchtlinge und deren Unterstützer*innen ein, durch Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit, Dokumentation von Kirchenasyl, Publikationen, Tagungen und Beratung von Gemeinden. Für den Fortbestand unserer kontinuierlichen Arbeit sind wir auf Ihre Spende angewiesen.
BAG Asyl in der Kirche | IBAN: DE68350601901013169019 |BIC: GENODED1DKD
Impressum:
Herausgeberin: Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche e.V.
Kirche Zum Heiligen Kreuz, Zossener Str. 65, 10961 Berlin
V.i.S.d.P.: Dietlind Jochims
Redaktion und Gestaltung: Ulrike La Gro
Bilder: 2x BAG/Dietlind Jochims, Danish Refugee Council, BAG/Katherine Braun, Boris Fiodorowicz
www.kirchenasyl.de | | Facebook und Twitter @kirchenasyl
Wenn Sie den 3-4x jährlich erscheinenden Infobrief in Zukunft per Post erhalten möchten, schreiben Sie uns gern eine Email an